Weltuntergang

Die Ruinen einer Stadt erstreckten sich unter dem verdunkelten Himmel. Die Luft fühlte sich stickig und und dreckig an als ich über einen Hügel von Steintrümmern kletterte.
Von hier hatte ich eine gute Sicht auf ein, mit all-zu bekanntes, Haus.
Die scharfen Kannten der Steine schnitten mir die Hände auf während ich hinunterkletterte.
Als ich am Boden ankam, konnte ich meinen Blick nicht vom Haus vor mir nehmen. Ich biss die Zähne zusammen. Mittlerweise fühlte es sich an, als wäre jedes Zuhause auf der Welt komplett zerstört worden. Jedes, bis auf dieses.
Ich näherte mich dem Gebäude.
Der nasse Kies knirschte unter meinen Füßen.
Je näher ich kam, desto besser konnte ich die Schäden des Gebäudes sehen.
Wie die verschmutzte weiße Farbe abgeblättert ist, und mir die rotbraunen Ziegel darunter zeigte.
Das dach, dass zusammen mit der letzten Etage zerstört wurde.
Die gebrochenen Fenster.
Ich bin jetzt ganz nah. Das Einzige, was mir jetzt noch im Weg stand war einer überwachsene Dornenhecke.
Meine blutigen Hände zitterten als ich Blätter und Äste beiseite schob. Dornen stachen, krazten meine Haut und rissen an meiner Kleidung. Die Blätter waren nass und befeuchteten meine Haut und Haare wie Schweiß während meine Füße im matschigen Boden versanken.
Es hatte letztens erst tagelang geregnet.
Dann hatte ich mich endich durch die Hecke gedrängt. Endlich.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und spürte, wie mir das blut durch die Finger glitt. Endlich.
Ich war so nah. Ich war so nah.
Ich musste jetzt nur noch die verdammten Trümmer dieses Hauses durchsuchen.

Doch dann... Ich blieb stehen. Am boden, nur wenige Meter vor dem Gebäude, lag ein Körper. Oh. Oh... mein Freund. Ich hatte gedacht, du wärst stärker.
Ich schüttelte den Kopf und ging ein paar Schritte auf den stillen Körper zu. Trockenes Blut klebte am Boden, welcher von ebenfalls blutigen Glasscherben übersäht war.
Er war aus dem Fenster gesprungen.
Ein Teil von mir fragte sich, wieso? War es wegen mir? Wollte er nicht, dass ich ihn finde? Oder war es wegen all der Zerstörung, all dem Tod? Wollte er nicht mehr am Leben sein, jetzt wo er scheinbar allein war?
Ich kniete mich neben ihn. Gerade hatten meine Hände noch gezittert und mein herz geklopft. Doch jetzt...
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Mein Freund, ich dachte, du wärst stärker. Ich dachte, du wärst stärker. Du hättest stärker sein sollen, warum warst du nur so schwach?
Meine Hände glitten unter seine kleidung.
Egal. Mein freund war tot. Und ich war sowieso nicht wegen ihm hier.
Er lag auf dem Bauch. Ich konnte jeden einzelnen Wirbel seines Rückens unter seiner Haut fühlen. Jeden einzelnen. Jeden einzelnen.
Ich atmete scharf ein.
Glasscherben steckten in seiner Brust, seinen Oberschenkeln. Seine Haut war nass vom Regen und übersäht mit verkrusteten Wunden.
Ich drehte seinen steifen Körper auf den Rücken. Es war ganz leicht. Sein Körper war ganz leicht. Auch sein Gesicht war mit Verletzungen versehen.
Trockenes Blut verklebte ihm seine Augen
Ich hätte gehen sollen. Ich hätte gehen sollen. Ich begann, die Glasstücke aus seinen Wunden zu ziehen.
Seine Haut, sein Fleisch, fühlte sich weich an. Er roch faul. Er roch verwesen. Ich leckte mir über die trockenen Lippen.
Mit langsamen Bewegungen stzte ich mich auf seine Taille und starrte auf sein Gesicht hinab. Seine verklumpten Wimpern. Sein getrocknetes Blut. Seine leeren Augen. Seine leeren Augen.
Ich legte meine Hände auf seine Brust.
Meine Finger gruben sich in den Stoff seines Shirts. Es war nass, voller Löcher. Es war dreckig, ausgewaschen und grau. Er hätte niemals grau getragen, doch ich konnte die eigentliche Farbe nicht erkennen. Niemals.
Ein Zucken fuhr durch meinen Körper. Ich zeriss sein Oberteil mit einer raschen Bewegung.
Ich saß da. Ich starrte auf seine nackte Brust, die Stofffetzen in meinen Händen, Löcher in seinem Bauch.
Der Geruch seines verfaulten Fleisches stieg mir in die Nase. Sein Fleisch.
Mein Herz klopfte. Meine Finger kratzten an einer der verkrusteten Wunden. Seine Haut war nass, brüchig.
Ich starrte auf sein Gesicht.
Eine alte Wunde klaffte auf seiner Wange. Meine Hand wanderte langsam über seinen Oberkörper, über seine stille Schlagader. Seine stille Schlagader.
Ich hielt den Atem an. Wieso?
Wieso bin ich nicht von ihm weggegangen?
Er regte sich nicht als ich ihm über sein Gesicht strich. Wie sollte er auch? Wie sollte er auch?
Diese todesbleiche Haut, die sich um seinen Schädel schmiegte.
Das rotbraun getrocknete Blu, welches sein zartes Gesicht zierte.
Seine dunklen Haare, die an seiner Stirn klebten, getränkt in seinem blut. Seinem Blut. Seinem Blut.
Ich strich über die Wunde auf seiner Wange. Ich starrte ihm ins Gesicht. Wäre er noch am Leben,mein Freund, würde er mir direkt in die Augen schauen.
Ich kratzte über seine Haut. Wie brüchig sie war...
Ich pellte und riss an seinem nassen, zarten, faulen Fleisch bis die Wunde wieder offen war, bis ich meine Finger durchstecken konnte. Ich konnte seine verfaulten Zähne fühlen, wie sie unter dem Druck meiner Finger zusammenbrachen.
Ich zitterte. Meine Hand ballte sich zur Faust, wobei ich mehr fleisch von seinem Oberkiefer riss.
Ich atmete tief aus.
Dann zog ich meine Hand zurück.
Flüssiges Blut ran mir durch die Finger. Der Geruch der roten Flüssigkeit überwältigte meine Sinne.
Sein Blut. Sein Geruch. Es fühlte sich so an, als könnte ich ihn nur an diesem Geruch erkennen.
Auch wenn es nur Blut war.
Auch wenn es nur Blut war.
Ich legte meine Hände wieder flach auf seine Brust.
Mir fiel das Atmen schwer. So schwer.
Ich wusste nicht, was ich in diesem Moment spürte. Meine Brust war wie zugeschnürt. Ich zitterte am ganzen Leib.
Langsam beugte ich mit vorwärts. Bis meine Stirn seine berührte.
Meine Hände blieben auf seiner Brust gepresst.
Ich atmete immer noch tief ein und aus.
Der stechende Geruch seines verwesenen Körpers störte mich nicht.
Der Gestank seiner durchgerotteten Zähne störte mich nicht.
Das weiche Fleisch, welches langsam unter meinen Händen nachgab, störte mich nicht.
Ich sog all das auf. Es störte mich nicht.
Meine Finger krallten sich in sein Fleisch, welches sofort nachgab und sich von mir zerreissen ließ.
Wieso habe ich das getan? Wieso habe ich das getan?
Ich richtete mich abrupt wieder auf.
Mein Freund... Sein kaltes Blut zwischen meinen Fingern. Löcher in seiner Brust. Frisches Blut, welches die Löcher wie rosenrote Seen füllte.
Mein wildschlagendes Herz erstarrte.
Mein zittriger Körper wurde steif.
Meine schweren Lungen konnten kein bisschen Luft holen.
Dann, ein Moment, der in tiefes schwarz getaucht war. Als hätte jemand die Erinnerung aus meinem Gedächtnis geschnitten.
Dann klaffte ein großes Loch in seiner Brust.
Ich hielt Stücke seines verrotteten Leibs in meinen blut-getränkten Händen. Ich konnte seine Organe sehen. Ich konnte seine Rippen sehen.
Ich konnte meinen eigenen Herzschlag nicht spüren, doch ich wusste, dass er da sein musste; sonst wäre ich tot. Wie er. Mein Freund.
Wieso war er so schwach? Wieso war er so schwach? Wieso hat er das getan? Wieso hat er das getan?
Mir stiegen Tränen in die Augen während ich meine Finger in seiner Brust vergrub.
Es war nass. Es war schleimig. Blut spritzte mir ins Gesicht als ich durch seine Knochen auf seine Lungen presste.
Seine Knochen. Die, die sein Herz schützten wie Gefängnisgitter.
Ich fühlte, wie sein frisches Blut in die Schnitte an meinen Händen hineindrang. Wie es durch meine Adern floss.
Ich atmete scharf ein.
Bereits gebrochene Rippen knackten und krachten, als ich sie aus seinem stillen Körper riss.
Ich war nass. Ich wusste nicht, ob es wegen Blut oder Schweiß war.
Nun waren sie fort. Diese in Blut getränkten Barrieren, die mich von seinem Innersten fernhielten.
Die Flüssigkeit lief mir über mein Gesicht. Der eiserne Geschmack füllte meinen Mund. Ich meinte, ihn in meinem ganzen Körper spüren zu können. Ich leckte mir die Lippen.
Meine Finger waren tief in seinem Brustkorb vergraben. In seinen schleimigen Lungen. Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich über seine Wirbelsäule.
Dann hatte ich sein Herz zwischen meinen Händen. Sein Herz. Sein Herz. Mein Freund.
Es schlug nicht mehr. Es schlug nicht mehr. Natürlich nicht. Natürlich nicht.
Dennoch entwich mir ein Keuchen.
Wir waren uns noch nie so nah.
Wir waren uns noch nie so nah.
Meine Sicht verschwamm. mir lief etwas über die Wangen.
Ich hob sein Herz aus seinem Körper, hielt es zum Himmel hinauf.
Blut ran mir die Hände, die Arme hinunter, tropfte auf mein Gesicht.
Mein eigenes Blut rauschte mir in den Ohren. Der Schlag meines Herzens war plötzlich so laut, ich hätte fast geglaubt, dass es auch seiner war. Das ich nicht allein war.
Fast.
Donner, gefolgt von Blitzen, die den Himmel erheltten, ließenmich zusammenzucken.
Ich ließ das Organ fallen.
Ein Regenschauer folgte.
Ich rührte mich nicht. Ich starrte nur in den dunklen Himmel und blieb auf der Leiche sitzen.
Das Wasser wusch mir den eisernen Geschmack aus meinem Mund, meinem Gesicht.
Warum ich hergekommen war, war längst vergessen.